„Was ist eine jugendgerechte Kommune? Wie können wir Jugendliche mit schlechten Startchancen besser fördern? Wie können wir Freiräume für Jugendliche schaffen, in denen sie sich artikulieren und an Entscheidungsprozessen beteiligen können?“ Caren Marks, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, warf noch einmal einige der Leitfragen auf, die alle drei Projekte in ihrer Laufzeit begleitet hatten. Digitale Medien könnten eine große Hilfe bei den Grundfragen von Jugendpolitik sein, stellte Marks fest, und will dies nicht nur auf Partizipation bezogen wissen, sondern beispielsweise auch auf den Übergang von der Schule in den Beruf.
Das Stichwort der Freiräume griff Prof. Dr. Franz-Josef Röll in seiner Keynote gerne auf und forderte eine neue Kultur der Faszination des Lernens. Mit den bisherigen Versuchen der Beteiligung von Jugendlichen ging Röll hart ins Gericht: Das strukturelle politische System werde durch sie nicht tangiert. Im weiten Spektrum zwischen Selbstorganisation und Instrumentalisierung sorge Lobbyismus dafür, dass das Pendel eher zu Ersterem ausschlage und letztlich partizipationsfreie Räume geschaffen würden. Die Folge seien Jugendaufstände, wie wir sie in der Vergangenheit in den französischen Vorstädten erlebt haben, und aktuell in Rom. Und dort, wo Partizipationsverfahren begonnen würden, sagte Röll mit Blick auf die drei Projekte youthpart, youtpart #lokal und peer³, würde sie nicht verstetigt.
Von gelungenen Freiräumen konnte Prof. Dr. Gesche Joost, Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin und Internetbotschafterin der Bundesregierung bei der EU, berichten. Gemeinsam mit Studierenden hat sie ein „Living Lab“ ins Leben gerufen, ein experimentelles Medienlabor mitten im Berliner Stadtbezirk Neukölln. Während der Sommerferien wurde ein Ladenlokal angemietet, ein Ladenschild mit der Beschriftung „StreetLab“ ins Fenster gehängt und damit begonnen kreative Freizeitangebote zu machen. „Von Pädagogik hatten wir ja keine Ahnung“, räumte Joost freimütig ein. Umso mehr überzeugten die Ergebnisse: Selbsterfundene Kommunikationswerkzeuge, Roboter, die aus Handy-Schrott gebastelt wurden, oder Voodoo-Puppen, die Geräusche von sich geben, wenn man sie würgt. Das war so bunt, vielfältig und phantasievoll, das der Funke der guten Laune sofort auf das Publikum übersprang und Lust machte auf interdisziplinäre Projekte zwischen Medienpädagogik und Design.
Lust machte natürlich auch vieles, das in Workshops aufgegriffen wurde – die Tagung war schließlich nicht als Frontalveranstaltung konzipiert. So konnte man beispielsweise in „Wissensduschen“ an den Projektergebnissen aus dem Bereich ePartizipation und Peer-Learning teilhaben und über sie diskutieren, etwas über mediale Werkzeuge zur Kollaboration und Partizipation erfahren, und einen Blick auf die europäische Dimension der Online-Jugendbeteiligung werfen. Tipps und Tricks für eine gelungene Peer-to-Peer-Arbeit und Empfehlungen und Guidelines für ePartizipation auf kommunaler Ebene konnten die Teilnehmenden für ihre zukünftige Praxis mitnehmen.
Den Schlusspunkt setzte eine Podiumsdiskussion zwischen der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken, den beiden Keynote-Rednern Röll und Joost, sowie den Leitungen der Träger der drei Projekte. Da es um einen Ausblick in die Zukunft der digitalen Jugendbeteiligung gehen sollte stand zunächst die „Digitale Agenda für Deutschland“ der Bundesregierung im Zentrum des Interesses. Esken betonte, dass es sich dabei erstmalig um ein Gesamtkonzept für digitale Bildung handele. Keine Utopie konnte Prof. Röll in dem Dokument erkennen, eher etwas, das den von ihm geforderten selbstbestimmten Lern- und Freiräumen entgegenstehe. Marie-Luise Dreber, Direktorin von IJAB, wünschte sich eine Ergänzung durch eine „Junge Digitale Agenda“, die gezielt die Interessen und Bedürfnisse von Jugendlichen in den Blick nimmt. Dr. Heike Kahl, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, nahm kritisch das Verhältnis von Politik und Verwaltung zu Partizipationsprozessen ins Visier. Teilweise seien bei der Projektarbeit große Widerstände zu überwinden gewesen. Viele Lokalpolitiker und Verwaltungsleiter seien nicht bereit, öffentlich zuzugestehen, dass auch sie nicht für alles eine Lösung wüssten. Die für erfolgreiche Beteiligung notwendige Transparenz sei ihnen daher nur schwer abzuringen. Zugleich beklagte sie die Unkenntnis der Lebenswelt von Jugendlichen bei vielen Entscheidungsträgern – auch dies ein wiederkehrendes Motiv der Tagung.
Die Motive „Unkenntnis der Lebenswelten“ und „fehlende Freiräume“ fanden sich auch im Diskussionsbeitrag von Ulrike Wagner, Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis wieder, auch bei ihr mit einem kritischen Unterton. Es war also keine kritiklose Tagung, die in Berlin eine Bilanz dreier Projekte versuchte. Im Zentrum der Kritik standen dabei nicht die Projekte selbst, sondern eher die unklaren Perspektiven – denn die Förderung aller drei Projekte endet bald. Gerade die Workshops machten deutlich, wieviel inhaltlichen Zugewinn die Projekte für die medienpädagogische und jugendpolitische Diskussion gebracht haben und wie viele dieser Inhalte durchaus nachhaltig sind. Es handelt sich dabei häufig um Prozesse, die angestoßen wurden, und die nun ein Eigenleben begonnen haben – etwa die von youthpart mit europäischen Partnern entwickelten „Guidelines für gelingende ePartizipation“, die ein langes Echo im europäischen Rahmen finden werden. Und gerade von Europa erhofft sich Keynote-Rednerin Gesche Joost starke Impulse. So beraten „Young Advisors“ die Europäische Kommission in Sachen Medien- und Netzpolitik. Diese Herangehensweise an die Kompetenz junger Menschen wünscht sie auch Politik und Verwaltung in Deutschland.
Partizipativ und interaktiv war eine Jugendredaktion beteiligt, die während des gesamten Tagungsverlaufs online berichtete. Mit viel Charme und Sachverstand beobachteten und kommentierten sie das Treiben der Erwachsenen, die mal mehr, mal weniger treffend etwas über Jugend zu sagen wusste. Die Berichte sind unter https://www.dkjs.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/programme/1401204Tagungsdoku_mva.pdf nachzulesen.
Und noch mehr Hintergrundinformationen und Ergebnisse aus den Initiativen gibt es in den Abschlusspublikationen, die wie folgt zu erreichen sind:
youthpart - Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft:https://www.ijab.de/was-wir-tun/internationale-zusammenarbeit/youthpart/epartizipation-youthpart/a/show/youthpart-veroeffentlicht-abschlussbroschuere/
youthpart #lokal - kommunale Jugendbeteiligung: https://www.dkjs.de/themen/alle-programme/youthpart-lokal-kommunale-jugendbeteiligung/
Text und Bild: Christian Herrmann, IJAB
Erstellt 19.12.2014 , von Nina Cvetek